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litera[r]t
[heft 9] [oktober 2013] wien - st. wolfgang
Ab ins Glück
Peter Hodina
Die Sprachlosigkeit, die jedesmal den Sprachmächtigen befiel, wenn er seine sexuellen Phantasien einer
Partnerin gegenüber hätte entwickeln, vormalen sollen. Wirkliche Partnerschaften mit Frauen hatte er nur
wenige gehabt, vielleicht sogar nur mit einer Einzigen, mit der er ein Jahrzehnt, über eine Fernbeziehung,
die sich zwischendurch immer über meist zwei Monate erstreckt hatte, zusammenblieb. Es sei ihm überhaupt
nicht möglich, eine Liebesgeschichte, gar einen Liebesroman zu schreiben, sagte er, der doch als ein "Autor"
inzwischen in einem Literaturlexikon seines Landes vermerkt war. Der Mensch sei ein in den wesentlichen
Dingen lügenhaftes Wesen, meinte der ernste, phantasievolle Naturbetrachter Ernst Fuhrmann, und unser Autor –
nennen wir ihn, ja nennen wir ihn, nennen wir ihn noch nicht, finden wir lieber erst nach und nach seinen Namen,
ja sein Name könnte erst am Schluss dieser Skizze stehen – gab sich mit diesem Kompromiss zufrieden, mit diesem
provisorischen Dogma einer Lügenhaftigkeit des Menschen in seinen wesentlichen Belangen. Einer Verborgenheit wäre
vielleicht das bessere Wort noch. Denn verborgene Dinge waren es, die er trieb. Seine Sexualität war früh schon
abgezweigt in die Bereiche der Verborgenheit, des Abseitigen, unauffindbar für andere, die diese verborgenen
Kommunikationen des Autors nicht kannten, diese Geheimsphäre seiner. Man hatte eigentlich nur zwei grundverschiedene
Möglichkeiten, diesen Menschen kennenzulernen: entweder die gewissermaßen der Tagseite oder aber der Nachtseite. In der
Nachtseite seines Wesens und Treibens war der Autor kein Autor, kein Geistesmensch, sondern ein Anti-Autor und
Anti-Geistesmensch. In der Nachtseite war sein tiefstes Begehren, den Geistesmenschen zu zertrümmern zugunsten
des Triebmenschen. Dass unser Mann jedoch in zwei unvereinbare Hälften zerfiel, gewissermaßen objektiv schizophren
war, kann auch wieder nicht behauptet werden, denn er sann bei sich sehr oft nach über die sich in ihm gegeneinander
aufschaukelnden Gegensätze. So machte er oft und oft die Erfahrung, dass die Explosion der Triebe eine wohltätige,
um nicht zu sagen sammelnde Wirkung auf seinen Geist auszuüben vermochte. Jedenfalls war der Trieb so böse nicht,
wie ihm manchmal nachgesagt wurde. Schnell konnte der entkopfte Autor nach dem Orgasmus zu seiner Schreibarbeit
zurückkehren, als sei diese keineswegs getrübt durch das Betreiben des vermeintlich geistfeindlichen "Lasters".
Auch war das Schreiben dann nicht etwa "Reue" für das den Bedürfnissen des Körpers gegenüber bezahlte "Lehrgeld".
Wir können wahrscheinlich in den anderen überhaupt nicht wirklich hineinschauen, ihn gar nicht erkennen. Seine
uns verborgene Seite sieht man nicht. Und er könnte sogar ein Besessener dieser uns verborgenen Seite sein, ein
Fanatiker in den Schächten eines uns unsichtbaren Bergwerks, ein Bohrer an der Rückseite des Mondes. Die Vermutung
Schopenhauers, dass unser Seelenleben einer Ellipse gleiche, war vielleicht erhellend: einer Ellipse mit zwei
Brennpunkten – Trieb und Geist. Erstaunlich, dass gerade der "Buddhist" Schopenhauer zu seiner solch bizentrischen
Sichtweise – sicher aus Selbstbeobachtung heraus, aus Ehrlichkeit in der Introspektion seiner selbst – gelangte.
Manchmal versucht der eine Fokus, zum einzigen zu werden, einen Kreis zu bilden, das elliptische Wesen zu beenden,
den anderen Fokus gleichsam als "Mond" hinauszuschießen aus dem usurpierten System. Hätte es denn der sogenannte
"Geist" nun endlich geschafft, den "Trieb" abzumurksen oder in die Schmuddelecke zu drängen, als "Erdenrest",
dessen man sich verlogen schämt, sosehr man ihn in den wenigen Stunden genießen mag. Oder aber jedoch, weit
revolutionärer, kühner, dem sogenannten "Geist" die Gurgel abzudrehen, das triebentleerte Geistestheater als
ein ideologisches, lebenverstellendes zu beenden, manchmal – das kommt vor – mit einem Mal. Der im Literaturlexikon
als "Autor" verzeichnete Autor hatte wiederholt bei anderen bemerken können, wie sie dem "Geist" förmlich entsagten,
ihm widersagten wie die Kirchengläubigen zeremoniell dem Teufel. Sie gaben ihre Bibliotheken weg, beendeten ihre
Studien abrupt, in denen sie sich schon manchmal jahrelang aufgehalten hatten. Sie ernteten die Früchte ihrer
Begabung ab, verzehrten sie, verdauten sie, schissen sie hinaus – tatsächlich für immer. Sie begaben sich in
Entfremdung, ja wurden unersättlich darin, die Entfremdung zu leben... Sie verfleischlichten sich, ihre Körper
erotisierten sich, sie drangen durch die Fetische. Gaben sie sich hin? Oder spielten sie nicht immerzu die Hingabe,
waren Masken einer Hingabe, leisteten einander den Eheschwur, ließen einen Kinderwunsch in sich entstehen wie einen
anschwellenden Kürbis. Es war wonnevoll, endlich gewöhnlich zu werden. Der "Geist" war doch immer nur eine Brücke
gewesen, die nicht zum anderen als Sexualpartner führte, eine Brücke, die sich unendlich dehnte, je weiter man sie
ging, um so weiter rückte das andere Ufer weg. Und so musste zuerst dieser Geist-Kram, dieses Geist-Gestell beseitigt
werden, bevor die Leiber übereinander herfallen hatten können. Er wolle sicher keine Autorin zur Frau, sagte sich der
Autor. Er wolle eher alles andere als eine Autorin. Er fand es hoffnungslos, einander in der Literatur "finden" zu
wollen. Wozu betrieb er dann aber die Literatur? Es war so gesehen nicht falsch, einmal vom Schreibtisch aufzustehen,
das Zimmer endlich einmal wieder aufzuräumen – einen ganzen Tag lang, bis es wirklich aufgeräumt war –, seine Sachen
in die Waschmaschine zu geben, den funkelnagelneu wirkenden Pilotenkoffer aus braunem Leder mit Messingschnallen, den
er kürzlich am Flohmarkt nebenan um nur 15 Euro erstanden hatte, offenzuhalten für die frische Wäsche, die unten
im Keller noch eine Nacht hindurch trocknen musste. Er wolle nun mutwillig tagelang kein Autor mehr sein, er war
es ja ohnedies tagelang nicht, aber diesmal würde es mutwillig sein. Er war der Privatmensch nun. Er wolle sich
mit einer Privatmenschin treffen, von der er sich sicher war, dass sie keine Autorin, ja nicht einmal eine Leserin
war. Sie ahnte ja nicht einmal, dass er ein Autor war – er hatte es gut vor ihr verheimlicht. Alle anderen
Eigenschaften hatte er vor ihr eher mobilisiert als die eines Literaturmenschen. Plötzlich war alles andere,
das auch noch in ihm war, plastisch aufgegangen, wuchtig machte er vor der fremden Frau per Internet-Chat als
Mann. Es war durchaus ein Abenteuer, sich also "neu zu erfinden" – war es nicht ebengenau dieses Versprechen,
das Versprechen auf Selbsterfindung, "Selbstinvention", das ihn so lange der Literatur die Stange halten ließ?
Ich stellte die gute alte Eieruhr, ein neues Leben zu beginnen.
Ab ins Glück.
© beim autor
peter hodina ist 1963 in salzburg geboren. veröffentlichte zahlreiche beiträge in literaturzeitschriften, anthologien,
im hörfunk und im internet. vorträge im in- und ausland über thomas bernhard, witold gombrowicz, bertolt brecht, ludwig hohl,
jean améry, pawel florenski, ferdinand ebner. preisträger beim 6. harder literaturwettbewerb 2000.
rauriser förderungspreis 2004. seit 2007 mitglied der grazer autorinnen autorenversammlung (gav).
publikationen auswahl
steine und bausteine 1, berlin 2009. (avinus verlag)
steine und bausteine 2, berlin 2010. (avinus verlag)
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