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[heft 7] [oktober 2012] wien - st. wolfgang
Ich lese wenig und sehe oft fern
Clemens K. Stepina
0. Einleitung
Der vorliegende Text will nicht, obwohl in ihm zur Genüge wissenschaftliche Aussagen über das Fernsehen zitiert werden, den Anspruch vertreten, eine rein wissenschaftliche Arbeit zu sein. Denn dazu entspricht er – das kann man werten, wie man will – nicht den üblichen wissenschaftlichen Standards.
Der Text dient zur Selbstverständigung, also bezieht rein subjektive Betrachtung über das von mir wortwörtlich genommene Fernsehen, wie diese im ersten Kapitel ihren Ausgang nehmen, in Theoriereflexionen mit ein.
Eröffnet werden diese Reflexionen im zweiten Kapitel mit entsprechenden, so knapp wie möglich gehaltenen Referaten zu Texten deutscher Pioniere, im dritten Kapitel mit entsprechenden Polemiken zu "kritischen" Äußerungen über das Fernsehen aus der Frankfurter Schule. Dabei wollte ich es mir nicht nehmen lassen, die Frankfurter Medien-Partizipation und "emanzipatorische" Medienkritik in einen Zusammenhang zu stellen, der nicht von mir frei erfunden wurde, sondern – im Gegenteil – die messerscharfe Diskursgebärde dieser Schule ist: Diskutiert wird und diskutabel ist nur die eigene Position.
Konterkariert habe ich diese Position im darauf folgenden vierten Kapitel: Pragmatiker unter den Theoretikern stellen sich nicht die Frage nach einer Mediennormativität, die dann doch keine sein soll, stellen sich nicht die Frage nach einer Fernsehmoral, die dann doch keine sein soll, sondern sie sehen das elektronische Bild, das Medium und die assoziierte Kultur, die dadurch vermittelt wird (Adelmann u.a. 2001, 7). Sie sehen den "medialen Turn" (vgl. Ellrich, Funken 2008: 219-236), und das, was er mit der Welt macht, mit postmoderner Gelassenheit.
Diese Gelassenheit versuche ich in meine subjektiven Betrachtungen, die nicht immer, aber manchmal frei von gespielter Naivität sind, im fünften Kapitel wieder aufzunehmen und einfließen zu lassen, um wieder zu mir als Zuschauer, als Fernseher zu kommen und mich – nach Abspulung entsprechender akademischer Allgemeinplätze zum Fernsehen – zu fragen, was ich und das elektronische Bild sind.
Damit setzt sich auch das folgende sechste Kapitel – theorielastig, sprich bildphänomenologisch, genug – auseinander: Was ist der Bildmensch, dieser homo pictor, der ohne Bilder nicht leben kann, und der im elektronischen Bild sein Ebenbild zu finden geglaubt hat?
Im siebenten und letzten Kapitel wird, unter nochmaliger Erörterungen der Defizite in der Bild- und Kritischen Theorie, die Frage zu beantworten gewagt: Fernsehen ist Autopoiesis. Fernsehen sieht sich selber fern, ohne dass ich oder ein anderer Mensch daran beteiligt sein muss. Das macht die Dezentrierung der fernseherischen Subjektivität aus. Und gerade aus diesem Grund sehe ich oft fern und lese wenig.
Der Text ist – paradox genug und so auch der Untertitel – als Plädoyer für das elektronische und sich selbst reproduzierende (Fernseh-)Bild gedacht und glaubt damit implizit nicht an die Einmaligkeit des Lesens oder gar eines Textes. Zu behaupten, die Lesbarkeit der Welt wäre mit einigen Wörtern, wäre mit einem Text erschlossen, ist einfach nur lächerlich in einer Zeit, in der die Welt des (intermedial wie internet-ial erschlossenen) Fernsehens Welt selbst ist.
Die Welt des Fernsehens ist, sie ist klar und deutlich vor unseren Augen und selbst wenn unsere Augen erblindet wären, wäre sie, was sie ist: Elektronisches Bild von Welt, das Welt selbst ist. Sie, diese Welt, muss nicht erst hermeneutisch oder sonst irgendwie eigens etwa von einem Adorno – dessen Bedeutung wie die anderer "Medienphilosophen" im Verhältnis zur Autopoiesis des Fernsehens gegen Null geht – erschlossen werden.
Dass im telematischen Zeitalter die Herstellung des Fernsehens das Fernsehen selbst und das Fernsehen die Welt ist, und es der eigentlichen Text-Welt – was immer darunter verstanden werden soll (vgl. Stepina 2011: 66-83) – nicht mehr bedarf, ist klar. Texte, die in Archiven die vom Menschen imaginierte Welt tradieren und retten sollen, gelten nur, wenn sie klar stellen, dass sie nichts sind und insofern ist vorliegender Text auch der Lächerlichkeit preis gegeben, was und warum er überhaupt sein soll.
1. Ich und das Fernsehen
Ich lese wenig und sehe oft fern.
Manchmal lese ich ein angefangenes Buch nur ungefähr bis zur Hälfte, weil ich danach das Interesse an dem Buch verliere. Das Buch ist dann für mich langweilig geworden. Das ärgert mich. Hingegen, wenn ich etwas im Fernsehen nur zur Hälfte sehe, macht es mir nichts aus, weil ich nur Bilder gesehen habe, die ich gleich wieder vergessen habe. Es ist dann nichts Besonderes passiert.
"Im Vergleich zum Fernsehen liegt die gesellschaftliche Bedeutung des Buchs darin, dass es eine aktive geistige Auseinandersetzung verlangt". (Bonfadelli 2010: 4)
Aber genau das kann anstrengend sein, besonders, wenn man von Beruf wegen Bücher lesen muss. Außerdem ist Fernsehen auch eine aktive Auseinandersetzung, dazu aber später.
Wenn ich lese (einen Lieblingsautor habe ich nicht), dann sind das meistens Fachbücher, weil darin interessante Themen angesprochen werden, mit denen ich mich identifizieren kann.
Bücher mit Bildern gefallen mir aber besser als ein Text oder die Bücher selbst. Texte sind mitunter langweilig oder schwierig zu lesen. Wenn es Bücher geben würde, die so wie Fernsehen und damit voller Bilder sind, würde ich auch mehr lesen. Aber so etwas gibt es noch nicht, daher lese ich nicht so gerne.
Ganz anders ist es mit dem Fernsehen: Obwohl ich dauernd fernsehe, spricht das Fernsehen mich an. Daher kann ich auch so lange fernsehen, weil es nicht langweilig und nicht anstrengend ist.
Auf jeden Fall finde ich es trotz alledem entspannender fernzusehen, als ein Buch zu lesen, weil ich zugeben muss, dass ich mit manchen Büchern Probleme habe sie überhaupt zu verstehen. Bilder im Fernseher verstehe ich zwar auch manchmal nicht, aber es macht mir nichts aus, weil sehen kann ich sie ja. Während ich beim Lesen Szenen oder Inhalte erst im Kopf während des Akts des Lesens selbst erstellen muss, sind die Bilder vom Fernsehen sofort in meinem Kopf, ohne dass ich mich anstrengen muss. Das gefällt mir: Aus dem Fernseher kommt ein Bild in meinen Kopf und geht gleich wieder hinaus, weil ein neues Bild kommt. Und so könnte das immer weitergehen.
Häufig ist es aber auch einfach zu langweilig zu lesen, weil es mir zu langsam ist und dabei keine richtige action aufkommt wie beim Fernsehen. Wenn ich zum Beispiel von der Arbeit komme, setze ich mich gerne vor den Fernseher, weil ich Bilder brauche und ich mich beim Anschauen dieser Bilder am besten Entspannen kann. Die Flut der Bilder geht dann in meinen Kopf hinein und wieder hinaus. Das alles passiert ohne große Anstrengung und das gefällt mir.
Was mir noch am Fernsehen gefällt: Es bildet und informiert. Sender wie ARD oder ZDF zeigen in den Nachrichten, was es auf der ganzen Welt so neues gibt und wie das Wetter in den folgenden Tagen werden wird. Durch die Bilder der Wetterkarten bin ich gut informiert. Bei Schlechtwetter, das kommt und welches mit Bildern von dunklen Wolken, Regentropfen und Blitzen dargestellt wird, bin ich entsprechend vorgewarnt. Das finde ich gut, weil ich dann Änderung in meiner Bekleidung vornehmen kann: Ein Regenmantel, ein Schirm, eine Mütze bei Schlechtwetter, leichtere Bekleidung, Sonnenbrille für strahlendes Wetter und bei hohen Temperaturen. Wichtig ist, sich richtig anzuziehen, damit man sich nicht ungeschützt dem Wetter aussetzt.
Ein weiterer Vorteil des Fernsehers ist es, dass ich selber bestimmen kann, was ich sehen will. Oft ist es dann so, dass ich von einem Kanal zum anderen wechsle und die dabei entstehenden Zusammenhänge, die durch Zufall in meinem Kopf entstehen, noch rascher sind als das Fernsehen selbst. Ich kann nur sagen: Zauberkiste Fernseher.
Das oder so etwas Ähnliches ist beim Lesen eines Buchs nicht möglich. Es ist aber schon einmal vorgekommen, dass ich zwei Bücher gleichzeitig gelesen habe, damit ich so mehr Abwechslung bekomme. Aber im Vergleich zum Fernsehen und zum "Wellenreiten durch die Fernsehkanäle" (Neverla 1994: 79; "switching": Winkler 1990: 5) ist das nur ein schwacher Trost. Auch finde ich Fernsehen für die eigene Gefühlslage einfacher: Bei Komödien kann man lachen, bei Actionfilmen genießt man die Stunts und bei Fantasyfilmen taucht man in eine Zauberwelt ab, in der alles besser ist. Und für Kochshows habe ich einen eigenen kleinen Fernseher in der Küche, damit ich gleich mitkochen kann.
Diese subjektiven Eindrücke sollen vorerst genügen. Ich will jetzt anhand von Theoriereferaten ein wenig darüber nachdenken, was ich über das Fernsehen und den Zuschauer gelesen habe. Am Rande des Gelesenen ist auch immer wieder der Begriff "Bild" gefallen, und es kann nicht schaden, wenn ich auch über ihn nachzudenken beginne, ebenso wie über den Begriff der "Autopoiesis", und was sich mit ihm über das Fernsehen sagen lässt.
2. Deutsche Theoriepioniere
Also: Robert Pohl äußerte sich im deutschsprachigen Raum als einer der Ersten über die "elektrische Fernübertragung von Bildern." (1910: 3) Wiewohl für ihn die technische Seite des Fernsehens, also die Übertragbarkeit von elektronischen Bildern in der Tradition des "Kopiertelegrafen" (1), im Vordergrund steht, ist schon mit der Erwähnung und dem Begriff des Bildes einiges gesagt: Ein Bild soll übertragen werden und somit in den Kopf des Fernsehenden kommen.
Weiter denkt Thun, der die Bedeutung des Fernsehens neben Film und Radio als Leitmedium erkennt, indem er schon inhaltsbezogen argumentiert: Was das Fernsehen, das Anfang der 1930-er Jahre noch kein "Ersatz für ein Lichtspielhaus" (1932: 134) sein kann, erfolgsorientiert machen könnte, ist ein Programm, ist Inhalt, ist eine mit dem Medium unverkennbar zu assoziierende Dramaturgie. Inhalte, die sich vom Medium Kino unterscheiden, die Bilder dramaturgisch und programmatisch eigensinnig so übertragen, dass sie wie für das eigene Heim geradezu gemacht scheinen, können Fernsehstuben gemütlich machen und eine Form von Intimität und familiärer Zuschauergemeinschaft gewährleisten, die es im Kinosaal so nicht gibt (136). Dazu benötigt, so prophetisch der Autor, das Fernsehen professionell ausgearbeitete Programmleisten (so später Eckert 1953: 1-13).
Ganz ähnlich sieht das auch Arnheim: Das Fernsehen bedingt "Familienszenen" (1936: 172). Für ihn ist das Fernsehen das kommende Medium, das gegenüber dem Rundfunk reüssieren wird, weil es eine Gemeinschaft von Bildempfängern bildet und erzieht (175 f.). Er räumt der Macht der Bilder und der Emanzipation des Fernsehens durch visuellen Mehrwert und freie Assoziation der Bilder einen hohen Stellenwert für den "Schautrieb" des Konsumenten ein (173). Diese in den 1930-er Jahren sozialutopisch klingenden Einschätzungen zum Medium Fernsehen sind vom schon genannten Eckert wie auch von Pleister nach dem Krieg mit einer mitunter naiv anmutenden Euphorie, die aber tatsächlich nicht frei von kalkulierendem Lobbyismus ist, umgesetzt worden.
Die Familie gruppiert sich wie im Zuschauerraum des antiken Theaters im "Halbkreis" vor die Fernsehbühne (Flusser 1993: 183) und erlebt sozialen Umschluss durch die Dramaturgie der Programmintendanz: "Wir versprechen Ihnen, uns zu bemühen, das Fenster in die Welt, Ihren Fernsehempfänger, mit dem zu erfüllen, was Sie interessiert, Sie erfreut und Ihr Leben schöner macht." (Pleister 1953: 40)
Das Bild, das der damalige Intendant des NWDR im Fernsehen machen will, ist nicht das Bildnis Gottes, denn man soll sich bekanntlich kein Bild von Gott machen (Dtn. 5,6–21), sondern das Bild vom Menschen: Der Mensch sieht sich selbst – paradigmatisch in einer "Live-Sendung" (Gottschalk 1979: 26) – im Fernsehen und macht sich so von sich ein Bild. Diese "Neuentdeckung des Menschen" durch das Fernsehen als "neue Kunst" schwebt Pleister bei der Neuerschaffung des Menschenbildes vor (Pleister: 39-42; vgl. auch kritisch: Gottschalk: 27). Ein Mensch, der sein Abbild im elektronischen Bild sieht, durchbricht seine fensterlose Monade und erfährt, wie er abgebildet in der Gesellschaft handelt und wie er in ihr steht.
3. Frankfurter Diskursgebärde
Weniger enthusiastisch, sondern problematisch sehen die Vertreter der Frankfurter Schule das Fernsehen, das sie hinter der Folie einer kritischen Medientheorie, von der ich nicht sagen könnte, ob es sie denn auch tatsächlich gibt, entwickelt sehen wollen.
Es wird kompliziert, da ich beim Lesen dieser Lektüre genau in den Zustand komme, den ich eingangs beschrieben habe: Es werden in diesem Zusammenhang von Adorno bis Habermas – Vertreter dieser Schule aus zwei Generationen – Wörter und Begriffe verwendet, die schwer verständlich sind und so macht das Lesen nun einmal keine Freude. Viel lieber würde ich nach wenigen Sätzen, die ich in diesem Kontext gelesen habe, und von denen ich mir keinen rechten Reim machen konnte, die Lektüre abbrechen und fernsehen gehen.
Aber was soll`s? Vielleicht kann ich gerade durch die Wiedergabe der von Adorno u.a. eingeübten messerscharfen Diskursgebärde aufzeigen, dass das Ganze eine Medienphilosophie moralgetränkter Nebelkerzen ist und der Fernseher als Marionette gesehen wird, der hinter dem Mond lebt oder am Besten die Antenne an der Fernsehkiste abbrechen sollte.
Also: Adorno leugnet die bislang genannten Vorteile des Fernsehens nicht vorab, aber er sieht sie unter einem gänzlich anderem Vorzeichen: Er analysiert das Medium – ähnlich wie Günther Anders in seinen Anmerkungen "vom Fernsehen als Matrize" (1968: 162 ff.) – als gesellschaftliches, die Wirklichkeit nur verstellend oder verzerrend wiedergebendes Medium im Rahmen seiner ideologiekritischen Studien zur "Kulturindustrie" (1963a: 72, 1963b: 81) und "Massenkultur" (1963a: 78). Fernsehen ist für ihn vor allem ein "kommerzielles" und systemstabilisierendes Medium (78 ff.), das ein "internationales Klima des Anti-Intellektualismus" (1963b: 89) schaffen würde Stichwort: "Fernsehen als Ideologie." (1963b)
Das beste Fernsehen ist demnach für Adorno ein Fernsehen, das sich selbst "decouvriert" und in sich implodiert, damit auch die Bilder, die vom Fernsehen in den Kopf des Zuschauers übergegangen sind, gleichsam ideologiekritisch unter der Schädeldecke verdampfen können (1963a: 80; 1963b: 98).
Die Frage, die dabei aufkommt, ist, wie die medial vermittelte Wirklichkeit wohl richtig dargestellt werden soll, und wer bestimmt, was das Richtige oder Normative dieser Darstellung sein soll. Darauf gibt Adorno "ex negativo" keine Antwort, was bleibt, ist eine prätentiöse Hülsensprache des elitär Kritischen, des großen Nein.
Der mit der Frankfurter Schule sympathisierende französische Philosoph und Literaturtheoretiker Lucien Goldmann hat diese Position des "Nein" – unfreiwillig selbstironisch – auf den Punkt gebracht: "Die Denker der Frankfurter Schule halten es für unmöglich, die Werte innerhalb der Industriegesellschaft und des organisierten Kapitalismus retten zu können. Sie lehnen die Identifizierung mit jeglicher in dieser Gesellschaft existierenden oder entstehenden Kraft ab, sie nehmen eine radikale kritische Stellung dazu ein." (1969: 8 f.)
Dieser Sprache des großen Nein, der "großen Verweigerung" (Marcuse: 171982, 268) und ihrer messerscharfen Diskursgebärde, bedienen sich gerne Schüler Adornos, wenn sie über Medien, wie das Fernsehen im speziellen, plaudern. In diesem Zusammenhang sind Enzensberger und Kluge zu nennen, wobei letzterer damit sein "kritisch"-irritierendes Fernsehen (dctp) ideologisch aufpoliert.
Der einstweilen zum Multimillionär avancierte "kritische" Fernsehproduzent und vor Gericht geklagte Medienoligarch und "Tycoon der deutschen Medienbranche" (Hanfeld 2008: 5) Kluge – nomen est omen – begreift sich darüber hinaus als einer der Begründer des avantgardistisch-intellektuellen Neuen Deutschen Film der 1970er- und 1980er-Jahre. Notiz am Rande: Eine unterstellte Verarmung unserer "kapitalistischen" (Fernseh-)Welt lässt sich nicht mithilfe der Gesten einer ästhetischen Avantgarde, die vor allem eine Avantgarde des Turbokapitalismus a lá Prudens-Imperium selbst ist, überwinden.
Kluge – darüber ist er mit sich selbst im Klaren – versucht in seinen Formaten "aus[zu]loten, was Fernsehen eigentlich kommunikativ leisten kann, wenn es nicht ängstliches Quoten-TV sein muss" und es damit eine "radikale Alternative zum Spartenfernsehen" und den angeblich "Fake-Bildern" darstellen würde (Kluge 2012).
Ich frage mich in diesem Zusammenhang, warum kann ein Fernsehbild nicht selbst die Botschaft seiner selbst als Funktion sein, wieso kann ein elektronisches Bild nicht zugleich die Aussage des Bildes sein, was wäre daran so falsch?
Auch Enzensberger beantwortet diese Frage, hierbei Adornos Begriff der "Kulturindustrie" hintergründig durch den Begriff der "Bewußsteins-Industrie" austauschend, in seinem medienpolitischen Essay Baukasten zu einer Theorie der Medien, der einen marxistisch-leninistischen Jargon bedient, der seinesgleichen sucht, nicht (1970: 159-186). Ähnlich wie Adorno und Kluge agiert der Genannte, indem er in seiner sogenannten Analyse nicht in erster Etappe überhaupt erst einmal nach der Funktionslogik der Medien frägt (hingegen Luhmann 1996: 57 ff. bzw. 2005: 220-226), um dann in einer zweiten Etappe eine gehaltvolle Kritik an den Medien in unserem Gesellschaftssystem erarbeiten zu können, sondern es werden ansatzlos die "kapitalistische Medien" und ihr "repressiver Mediengebrauch" verurteilt, ihre angeblich negativen Merkmale aufgelistet und mechanistisch einer Tabelle "emanzipatorischen Mediengebrauchs" gegenübergestellt (185 f.).
Was Adorno und in seiner Nachfolge auch Enzensberger und Kluge machen, ist die Medien, und hier insbesondere das Fernsehen, zu moralisieren, um damit zu suggerieren, dass es auch anders geht, ohne in der Tat nützliche Hinweise zu geben, wie ein "anderes" Fernsehen aussehen könnte, also funktionieren könnte: Denn etwa Alexander Kluges Fernsehen ist kein "anderes" oder "alternatives" Fernsehen. Er mag zwar hinterfragen, wie Wirklichkeit narrativ im Fernsehen dargestellt wird, wie ein Bild im Fernsehen Wirklichkeit zeichnet und abbildet (vgl. Stepina 2008: 47-52), aber in der "kritischen" Erzählweise dieser Hinterfragung selbst ist Kluge um Lichtjahre dilettantischer und wahrscheinlich auch unprofessioneller als die von ihm verpönten, da "staatlich gelenkten" (Kluge 2012) Hauptsender.
Ich, dem es anscheinend nicht wie Adorno und Konsorten gewährt ist, dem Hegelschen Weltengeist über die Schulter schauen zu dürfen, möchte aber kein anderes Fernsehen, ich möchte die Bilder, wie sie gesendet werden, genauso auch sehen und daraus kein großes Theater machen. Ich will das Fernsehen nicht im moralischen Diskurs, oder wie dieses alberne Gerede auch sonst wie heißen mag (basisdemokratische Partizipation etc.; vgl. etwa die AG "Offene Kanäle Österreich, bei der ich anfänglich selbst mitarbeitete [http://de.wikipedia.org/wiki/Offener_Kanal]), zerreden, sondern ich will fernsehen (Stepina 2004: 18-24).
Ich will als Fernseher – vielleicht im sozialen Verbund mit anderen Fernsehern – fernsehen, ich will dabei nicht emanzipiert werden oder am Fernsehen basisdemokratisch partizipieren, sondern ich will nur Bilder sehen, und genau das soll laut Adorno, Enzensberger und Kluge mein Problem sein.
Es gilt also zu hinterfragen, ob ein moralischer Diskurs über Fernsehen, der im Zeichen von "Kulturindustrie" und "Massenbetrug" (Horkheimer/Adorno: 145 ff.) verhandelt wird, etwas zu ihrer Funktion, nämlich die Koordination von technologisierter Kommunikation und ihrer Bilder, erhellendes beitragen kann. Auch der von mir instinktiv geschätzte Bildbegriff kann so nicht zur Geltung kommen, was ich bedauerlich finde, weil ich denke, dass das Bild etwas Existentielles mit dem Fernsehen zu tun hat, dazu aber später.
Habermas, der Horkheimer/Adorno in Bezug auf kritische Medientheorie einerseits "stilisierende Übervereinfachungen" und moralisierende "Überprägnanz" (1981a: 572 u. 574) diagnostizierte, dürfte andererseits die moralisch negative Bewertung der Medien von Horkheimer und Adorno sowie von Enzensberger unreflektiert übernommen haben: In seiner systemischen Handlungstheorie wird Sprache wird als wahrheitsgeleitetes und gewissermaßen Metamedium der "Lebenswelt" und ihrer guten Vergesellschaftung begreift, hingegen symbolische Medien wie Geld und Macht, aber auch technologische Medien wie Fernsehen und Presse, werden als entfremdete Medien des instrumentalisierten "System[s]" schlichtweg missverstanden (1981b: 212).
Dieses gründliche Missverständnis führt zu einer folgenreichen Resignation über die Massenmedien selbst: Denn in der Tat hält Habermas ganz betroffen fest, dass "sich Massenmedien den Verpflichtungen, die ihnen aus ihrem journalistischen Auftrag erwachsen, normalerweise nicht konfliktfrei entziehen können" (1981a: 574) und somit nicht dazu beitragen können, "einer strukturellen Entpolitisierung der breiten Bevölkerung entgegenzuwirken."( 1981a: 246)
Mediale Öffentlichkeit sei daher kein "Resonanzboden (…) politische[r] Öffentlichkeit (…), weil sie zusammen mit dem Publikum der Staatsbürger an einen Machtcode angeschlossen ist und mit symbolischer Politik abgespeist wird." (1992: 416 f.) Alles in allem würden Medienprozesse "die manipulative Inanspruchnahme der Medienmacht zur Beschaffung von Massenloyalität, Nachfrage und 'compliance' gegenüber systemischen Imperativen" widerspiegeln. (1971: 45)
Es ist in diesem Zusammenhang leicht einzusehen, dass Habermas‘ diesbezügliche wie Argumente seiner Frankfurter Kollegen (etwa Prokop 2005 u. 2009) durch ihre gebetsmühlenartigen Wiederholungen qualitativ nicht besser werden, geschweige denn dass er selbst eine kritische Einsicht zeigen würde, dass eine Moralisierung der Massenmedien nicht zur Erschließung ihrer "autopoietischen" Funktionslogik führen kann (Luhmann 1984).
Moralisieren ist aber nicht nur in der Frankfurter Schule ein beliebtes Hobby: Auch im angloamerikanischen wie französischen Wissenschaftsbetrieb wird Fernsehen moralisiert: Postman ist hier zu nennen, indem er meint, dass Fernsehen "verblenden" und aus Menschen Idioten machen würde (1985: 99-111) oder auch Bourdieu, der Fernsehen als "Mittel symbolischer Unterdrückung" versteht (1998: 13).
Mir scheint, diese Argumentationsart hat damit zu tun, dass die Genannten das Fernsehen ideologiekritisch ver-textualisieren wollen, aus Fernsehen gedanklich einen Text machen wollen und gar nicht das Eigentliche tun, nämlich das autochthone Bild anzusehen. Das Bild, das man sich im Fernsehen beim Fernsehen ansieht, ist nicht ein Text, über den ich belehrt werden möchte, sondern es ist ein eigenständiges elektronische Bild, das ich sehe und wahrnehme und alleine aus dieser Bildwahrnehmung erschließt sich für mich das Fernsehen, sofern ich das überhaupt möchte. Mit Moral oder Normativität hat das nichts zu tun.
4. Postmoderne Gelassenheit
Pragmatiker unter den Theoretikern stellt sich nicht die Frage nach einer Mediennormativität, die dann doch keine sein soll, stellt sich nicht die Frage nach einer Fernsehmoral, die dann doch keine sein soll, sondern sie sehen das elektronische Bild, das Medium und die Kultur, die vermittelt wird. Sie sehen unsere Welt, die Welt des Fernsehens in der Jetzt-Zeit, in der Postmoderne. Sie sehen den medialen Turn mit postmoderner Gelassenheit.
McLuhan stellt daher folgerichtig nicht eine normative Themenstellung oder eine Moraltheorie der Telematik in den Fokus seiner Arbeiten, sondern beobachtet unaufgeregt das Fernsehen und die damit verbundene "Kultur audiovisueller Kanäle" (1964: 36-41), die das Bild und den Transport des Bildes als Kommunikation zum Gegenstand haben.
Fernsehen kann vielleicht besser in diesem Zusammenhang als Bildschirmmedium definiert werden, weil dadurch die Bedeutung des Bildes hervorgekehrt wird. Das Bild, das übertragen wird und von dem sich der Mensch ein Bild macht, ist Fernsehen: Ich sehe ein Bild, das ich bilde, weil es mich zuvor gesehen und mich gebildet hat.
Ich stehe dabei auf einer medialen "Bühne", die meine gesellschaftliche Realität beeinflusst, weil sie schlichtweg ein Teil meiner gesellschaftlichen Wirklichkeit ist. Das ist pure "Teleaktion im Wohnzimmer" (Virilio 1991: 17): Ich sehe die Welt, wie sie ist auch so, wie sie mir medial über das Fernsehen vermittelt wird, und diese meine Sicht ist rückgekoppelt an das Fernsehen, das sich selber sieht, wie ich es und seine Wirklichkeitskonzeption sehe (gewagte Interpretation von Newcomb, Hirsch: 1983, 177-190)
Ein Hoch auf die "telematische Gesellschaft, in der informationserzeugende Dialoge und interaktionsweitergebende Diskurse interagieren." (Flusser 1993: 180).
5. Nochmals Ich und das Fernsehen
Das Fernsehen ist für mich Unterhaltung, aber auch Informationsbeschaffung. Unterhaltungssendungen unterhalten mich, Informationsendungen informieren mich. In jedem Fall ist, egal was ich für eine Programmleiste fahre, Fernsehen in einem engeren Sinne Bildung: Ich bilde mir ein Bild. Das macht auch das Fernsehen zu einem Leitmedium, zu einer sinnlichen Erfahrung erster Güte.
Ferngesehen wird viel, Radio gehört dagegen weniger. Das hat damit zu tun, dass es leichter ist, ein elektronisches Bild aufzunehmen und zu verarbeiten, als über den Ton im Radio mir ein Bild erst mühsam imaginieren zu müssen. Daher wird das Fernsehen als Leitmedium verstanden. Inzwischen haben sehr viele Menschen auf der Welt einen Fernseher, in reichen Ländern fast alle Menschen (in Deutschland 95 Prozent), in ärmeren Ländern weniger Menschen (vgl. destatis.de).
Für Menschen, die einen Fernseher haben und damit Fernsehen können, ist die Wirklichkeit, wie sie über das Medium vermittelt wird, ein Teil ihrer Wirklichkeit geworden und strukturiert oft sogar den Tagesablauf und Wirklichkeitsentwürfe. Wie wir miteinander reden, was wir anziehen, wie wir miteinander (auch: sexuell) verkehren – das alles kann man aus dem Fernseher erfahren, wenn man nur will (vgl.: La Ferrara u.a. 2008).
Im Fernsehen erfährt man auch, wie die Wirklichkeit funktioniert, warum jemand zu einem anderen Menschen gut oder böse ist. In der Wirklichkeit ist das nicht immer ganz klar, was ich schade finde. Denn würden mehr Menschen so wie die Menschen im Fernseher handeln, wäre unsere Welt eine verständlichere Welt. Eine Reduktion auf ganz wenige, gut dargestellte Verhaltenscodes, wie wir sie im Fernsehen sehen, sollten auch außerhalb des Fernsehens eingehalten werden. Das ist mein bescheidener Apell.
Fernsehen zeigt sehr gut vor, wie wichtige Lebensthemen, über die Verständigung lohnend scheint, richtig angepackt werden sollen.
Wie etwa Gewalt richtig und lohnend ausgeführt werden soll, wird im Fernsehen gut dargestellt. Besonders die idealistische Jugend prescht hier unvoreingenommen vor und nimmt sich an der Gewalt im Fernsehen ein gutes Beispiel: So haben vor einigen Jahren publizierte Studien eindeutig einen Zusammenhang zwischen Fernsehsendungen mit Darstellungen von Gewalt und gewalttätigem Verhalten bewiesen (Jeffrey Johnson u.a.: 2002: 2468-2471). Ich will mich, wenn ich angegriffen und körperlich attackiert werden sollte, zur Wehr setzen können, und viele Actionfilme schulen mich hierfür in den penibel dargestellten Kampfszenen ein.
Dass die Höhe des Fernsehkonsums zu Bewegungsmangel (Hancox u.a. 2004: 257 ff.), früheren Sex und Bildungsnotstand (Pfeiffer 2009: 9) führen kann, ist vielleicht wahr, aber nicht weiter schlimm: Dicke und dumme Menschen sind sexy, treten in Talk-Shows neben Transvestiten und Zwergen auf, die alle ihre Lebensentwürfe selbstbewusst vorstellen und ihr Bild von sich selbst – auch Image genannt – weitergeben.
Auch ich werde einmal in so einer Talk-Show zu Gast sein.
Davon nun genug. Ich will wieder den Gedanken des Bildes aufnehmen, um entwickeln zu können, wie das Bild als Gestaltungsform des Fernsehens verstanden werden kann. Die Bestimmung des Bildhaften als spezifische Form menschlicher Kommunikation dürfte in diesen Erwägungen eine gewisse Rolle spielen (vgl. Sachs-Hombach 2003 sowie 2009).
Das elektronische TV-Bild ist das in der menschlichen Evolution obsiegende Bild. Der Mensch ist Bild geworden. Er ist ein elektronisches Phantom, das alles und nichts bedeutet. Hickethier nennt in diesem Zusammenhang das Fernsehen ein kommunikatives "Dispositiv", das so wie der Zuschauer eine Leerstelle ist, also eigentlich – ich wiederhole mich – alles und nichts bedeutet (1995: 80ff.). Die menschliche Fähigkeit, generell Bilder zu erzeugen und als Kommunikationsmedium einzusetzen und sie wahrnehmen (rezipieren) und verwenden zu können, ist eine Fähigkeit, die unterschiedliche Nutzungszusammenhänge mit einschließt.
Fernsehen ist Bildverarbeitung. Der Mensch hat die Fähigkeit zum Bildgebrauch erworben und er wendet diese Fähigkeit konkret in der bestimmten Situation des Fernsehens an. Welchen individuellen oder gesellschaftlichen Status das Bild besitzt, welche Funktionen es erfüllt und welche Bedeutung ihm schließlich beim Fernsehen des Nahbildes zukommt, ist nicht eindeutig. Was der Mensch macht, wenn er ein Bild beim Fernsehen in sich aufnimmt, ist nicht klar zu beschreiben. Vielleicht nimmt er beim Betrachten eines elektronischen Bildes eine Bildbotschaft entgegen, die er selbst vor Lichtjahren ausgestrahlt hat.
Die einzige Nachricht, die es bei der Entgegennahme eines TV-Bildes gibt, ist das Fernsehbild selbst und die Art und Weise der Entgegennahme, die man auf verschiedene Weise erklären kann; darüber hat etwa Cavell sehr viel nützliches geschrieben, wenn er Begriffe wie "viewing", "montoring" oder "broadcasting" im Auge hat (2005: 328-336).
6. Homo pictor
Einerseits habe ich – auf verschlungenen Pfaden – klarzumachen versucht, dass niemanden dabei geholfen ist, das Fernsehen moralisch bewerten oder gar normativ begründen zu wollen (so auch ist die tendenzielle Selbstkorrektur von Enzensberger in 1991: 89-103 zu verstehen). Ich glaube nicht, dass damit das Phänomen des Fernsehens erschlossen werden kann. Deswegen habe ich mich andererseits – für jemanden, der Bilder mehr braucht als alles andere – für den homo pictor stark gemacht und habe für diese Überlegungen kostbare Fernsehzeit geopfert.
Dass der Mensch die Bilder macht und nicht sie ihn, ist eine starke anthropologische These, die Hans Jonas in seine entsprechenden Überlegungen miteinbezogen hat (1961), und die bis in die Gegenwart vehement verteidigt wird (vgl. Flusser 1990: 116-123; Belting 2001: 21-24).
Bild ist das handlungsspezifische Synonym für die Leistung des wahrnehmenden Menschen, Vorstellung und Gegenstand zu erschließen. Daher ist der Mensch Produzent wie Rezipient, Hersteller und Empfänger des Bildes zugleich. Der Mensch, der als Zuschauer fernsieht, kann nur zuschauen, weil er zugleich das Zuschauen in einem einzigen Bildprozess herstellt.
Das Grüßen des phänomenologischen Gesslerhutes bahnt sich an: Die Einheit des intentionalen Gegenstandes, des Bildes, wird mit dem Wesen des Gegenstandes selbst, dem Urbild, betont (Husserl 1913: 424 f.). Bild ist ein von Menschen gemachtes Bild und alles andere ist undenkbar (1980: 223f.). Der ganze Kanon phänomenologischer und anthropologischer Bildtheorie, der selbstredend auch in der Film- und Fernsehtheorie seine zeichentheoretische Dominanz erfahren hat (vgl. Metz 1972), beruht darauf.
Viel ist vom Menschen und sein Bildmachen im und beim Fernsehen die Rede gewesen.
Was aber, wenn diese Rede gar nicht im Fokus einer adäquaten Analyse über das Fernsehen stünde?
Darüber noch einige abschließende Gedanken.
7. Autopoiesis
Das Fernsehen sieht sich selber fern
Bildphänomenologie ist als Erklärungsmodell nicht hinreichend für mich und meinen, nicht nur quadratischen Erfahrungshorizont, wenn ich fernsehe. Denn, wenn ich jetzt fernsehe, kommt in mir, wenn ich mir besagte These vergegenwärtige, eine gewisse Unruhe auf: Ich möchte doch auch manchmal während des Fernsehens gar nicht Fernseher, also Wahrnehmender und Leistender eines Bildes sein, sondern nur ein Moment des Bildprozesses selbst. Ich möchte mich manchmal in den Bildern auch auflösen – und bis zu einem gewissen Grad gelingt mir das nicht nur, sondern es passiert tatsächlich ohne mein großes Zutun: Ich bin der rechteckigen Begrenzung entstiegen.
Ich glaube, das Fernsehen verweist in letzter Konsequenz auf etwas, nämlich auf eine Wahrnehmung, die kommuniziert wird, ohne dass ein "je-meiniges Bewusstsein" (Husserl 1901: 298) daran überhaupt beteiligt sein muss. Es kann, aber muss nicht. Die Fluten elektronischer Bilder sind immer da, egal ob ich mich in sie einklinke oder nicht.
Das ist für mich das eigentlich Entspannende am Fernsehen, das Lustvolle, wie ich es am Anfang instinktiv zu beschreiben versucht habe. Ich bin dabei, aber gleichzeitig auch nicht.
Mit den Mitteln der Wahrnehmung bedingt das Fernsehen eine Form der Wahrnehmung, die selbstreferentiell ist. Das elektronische Bild ist das Bild und das ist, wenn überhaupt, seine Botschaft: Das In Erscheinung treten des Bildes ist seine Botschaft, unabhängig von mir.
Kommunikation im Fernsehen, die im wesentlichen beschlossen ist über die technische Koppelung von Sender, Kanal und Empfänger (Shannon, Weaver: 1998) kann zwar durch meinen Bildsinn für mich selbst erschlossen werden, aber diese Sinnstiftung ist für die telematische Selbsterschließung von Kommunikation nicht Grundbedingung.
Kommunikation von Bildern ist eine Operation, die der Mensch als in dieser Operation Exkludiertes in der Sinnerschließung seiner selbst nur mehr ‚formaliter‘ miteinschließt. Mehr aber auch nicht: Telematische Kommunikation produziert sich als System, dessen formale Selbstreferenz keineswegs auf (Bild-)Inhalte eines Menschen angewiesen ist, sondern ausschließlich auf sich selbst. Luhmann nennt dies bekanntlich "die Emergenz der Kommunikation" (2005: 113).
Formalisierung von Sinn wird im elektronischen Bild kommuniziert und programmiert. Wie Fernsehen für Kommunikation bereitgestellt wird, ist eine Frage, die außerhalb der menschlichen Sinnerschließung liegt, was der kommunizierte Inhalt von Fernsehen selbst ist oder sein könnte (vgl. dazu: Luhmann 1997: 307).
Aber es scheint folgendes plausibel: Die Logik und formale Funktionsweise der Medien kann weder mit Bildphänomenologie, noch mit Kritischer Theorie, die inhaltsbezogen über das Fernsehen als Ideologie belehrt, begriffen werden: "Wenn jeder Begriff von Code" und ferner von Autopoiesis "ausbleibt und Programme statt dessen als Waren auftreten, muss die kulturkritische Analyse notwendig auf Inhalte hereinfallen." (Kittler 1995: 186)
Die Frage, die sich daraus aber ergibt, lautet: Was wäre die passende Alternative im Sinne einer Theoriereflexion? Eine mögliche Antwort könnte sein: Ein erster Schritt, um überhaupt sich über die gesellschaftliche Funktion der Massenmedien, hier im Speziellen: des Fernsehens, ein Bild machen zu können, ist ihre logische Funktionsanalyse. Denn erst wenn ich weiß, wie ein Medium als System funktioniert (von der Sprache bis zum Computer; vgl.: Sandbothe, Nagl: 2005) –, kann ich mir in einem zweiten Schritt Gedanken darüber machen, wie sie gesellschaftstheoretisch oder sogar -kritisch zu betrachten wären.
Die "Kritische Theorie" der Frankfurter Schule ist alleine nur mehr als historisch überholte Betrachtung interessant. Mit ihr mag die Kapitalisierung der Gesellschaft an sich wie der Medien im speziellen beleuchtet werden, aber sie erklärt nicht, wie Gesellschaft oder Medien funktionieren und in welcher Form dieses etwa beim Fernsehen zum Funktionieren gebracht wird.
Der These von der gesellschaftlichen Entfremdung des Menschen – nicht zuletzt auch durch das Fernsehen – liegt offenbar ein diffuses Normativitätsmodell von Gesellschaft und Medien zugrunde, welches in ihrer Abweichung im Sinne der kapitalistischen Gesellschaft und der Medien ‚negativ‘ dialektisch erklärt wird.
Warum muss aber diese Abweichung als Abweichung moralistisch argumentiert und dann ausgeschaltet und korrigiert werden, anstatt etwa funktionslogisch davon auszugehen, dass gerade mit ihr der Schlüssel zur kapitalistischen Reproduktion erkannt und in eine Konstitutionslogik von Gesellschaft systematisch eingegliedert werden kann?
Daher ist folgende Diagnose nicht aus der Luft gegriffen: Die Verfallsgeschichte der Frankfurter Schule, auch und gerade als Schule kritischer Medientheorie, ist selbstverschuldet. Ihr Ansatz einer moralisierenden Verwerfung der Technik anhand einer Hegelschen Weltgeistanalyse der Bewusstseinsindustrie qua Neue Medien wird der Funktionsanalyse über sie, und so auch über das Fernsehen, nicht gerecht.
Ebenso wenig kann die Bildphänomenologie, in dem sie von einem klassischen Subjektbegriff und seiner intentionalen Erscheinungswelt ausgeht, etwas Erhellendes zum – wie ich das nennen möchte – Dezentierungsprozess des Menschen während des Fernsehens aussagen: Die Selbstüberschreitung des fernsehenden Menschen im Akt des Fernsehens – die angloamerikanische Literatur spricht in diesem Zusammenhang vage vom "flow" der Bilder und der Töne (Williams 2001: 33-43; Ellis 2001: 50f.) – kann plausibler Weise nicht mit einem Subjektbegriff erklärt werden, der genau in seiner Überschreitungsform zu liegen scheint. Das fernsehende Subjekt dezentriert sich beim Fernsehen, da es nicht mehr als Grund des Fernsehens, sondern nur mehr als ein, nicht aber als einziges konstitutives Moment angesehen werden kann.
Das instruktive Scheitern des Fernsehenden wird am Subjekt selbst hinterfragt, und damit auch eine phänomenologische Bildtheorie: Es geht der fernsehende Mensch in seiner Praxis nicht mit sich selbst als ident auf, sondern verweist vielmehr auf seine diesbezügliche Unmöglichkeit. Die Metaphysik der Entgrenzung des je-meinig Subjektiven im Medium des Fernsehens ist nichts anderes als Redundanz auf das Medium selbst, was nur im Status einer Autopoiesis von Kommunikation widerspruchsfrei referiert werden kann.
Die Bedingungen von Möglichkeiten autopoietischer Kommunikationssysteme anzugeben wird im Medium des Fernsehens besonders zur Deutlichkeit gebracht: Die Sinneswahrnehmung der Menschen wurde und wird durch das Fernsehen nicht nur verändert, sondern auch ihr entsprechendes Reflexionsbewusstsein darüber. Der fernsehende Mensch greift auf die Wirklichkeit nicht nur durch das Medium Fernsehen anders zu, diese selbst verleihen dem Zugriff auf sie eine Form von Kommunikation, welche nur formalistisch beschrieben werden kann.
Die phänomenologische Phantasmagorie, sich selbst als je-meinigen Menschen bildlich darstellen zu wollen, gelingt nur um den Preis der Nichtkommunizierbarkeit dieser Darstellung im Fernsehen selbst. Das Fernsehen, das in seinem formalen Vollzug abgekoppelt ist von inhaltlichen Sinnzuweisungen, erzeugt Bilder, die Bilder sind und nichts anderes sonst, also auch keine – und schon gar keine "kritischen" – Menschenbilder.
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wikipedia.org/wiki/Offener_Kanal
© beim autor
clemens k. stepina.
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