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[heft 5] [märz 2012] wien - st. wolfgang
Zuversicht und Sorgen des Informationsprofessionisten Caspar Rieß.
Eine wissenschaftliche Fiktion.
Anton Tantner
Wie jeden Tag unter der Woche war Caspar Rieß nach dem Frühstück von seiner Wohnung im ersten Stock des Hauses in der Burgstraße ins
Erdgeschoß hinabgegangen, hatte um Punkt 9 Uhr die Ladentür geöffnet und wartete nun auf Kundschaft. Mehr als zehn Jahre waren es nun her,
dass er sein Intelligenz- und Adresscomptoir – ein mit ebendieser Aufschrift bezeichnetes Holzschild hing an einer Eisenstange über
dem Eingang des Etablissements – in der fürstlichen Residenzstadt eröffnet hatte; damals regierte im fernen Wien noch Kaiser Karl VI. und
in vielen Städten im Reich enstanden Adressbüros, die nach Vorbild des in der österreichischen Hauptstadt befindlichen Frag- und
Kundschaftsamts Stätten universeller Vermittlung sein wollten. Nicht länger sollte es vorkommen, dass Käufer und Verkäufer von
unentbehrlichen Waren einander aus Mangel der Kenntnis nicht antreffen konnten, nicht länger sollten Personen, die eine Wohnung zu
mieten gewillt waren, tagelang die Straßen der Stadt auf- und ablaufen, immer Ausschau haltend nach den von Wind und Wetter manchmal
fast schon unleserlichen Zetteln an den Haustüren, die eine freie Wohnung versprachen; nicht länger sollten Dienstherren von den
Zubringerinnen untaugliches Personal vermittelt bekommen, das dann doch nur schnell seinen Arbeitsplatz wieder verließ. Stattdessen
sollten all diese Wünsche, Anliegen und Begehren an einem Ort – eben dem Adresscomptoir – gesammelt und gegen Bezahlung einer geringen
Gebühr in jeweils eigene Registerbände säuberlich niedergeschrieben werden; wer nun zum Beispiel Wein zu verkaufen gedachte, sich in der
Stadt einlogieren oder eine Stelle als Haussekretär antreten wollte und auch wer Geld zu verleihen hatte, konnte nun zu den Öffnungszeiten
des Büros dieses aufsuchen und einen Bediensteten in den Registern nachsehen lassen. War die Suche erfolgreich, sollte der Kunde gegen
Bezahlung eine Abschrift des Eintrags zur Verfügung gestellt bekommen, die nicht zuletzt die Adresse der Person erhielt, bei der er eine
Befriedigung seines Begehrs erwarten konnte. Käuferinnen und Verkäufer, Lehrer und Schüler, Meister und Lehrlinge, Dienstherrinnen und
Diener könnten so leichter als bisher miteinander in Kontakt treten; kein nützliches Talent wäre mehr dazu verurteilt, müßig zu sein.
In diesem Sinne hatte Rieß damals ein Ansuchen auf Erteilung eines Privilegs für ein Intelligenz- und Adresscomptoir an die
fürstliche Behörde gestellt; mit dieser Einrichtung sollte auch die Herausgabe eines Intelligenzblatts verbunden sein, das
Registereinträge aus den Protokollen des Büros veröffentlichen sollte. Dieses Anzeigenblatt, so hatte Rieß damals argumentiert,
brächte den Vorteil, dass auch Parteien, die außerhalb der Stadt wohnten und für die es zu aufwändig wäre, regelmäßig den Gang
in die Stadt anzutreten nur um das Büro aufzusuchen, von den in das Comptoir eingebrachten Angeboten informiert werden könnten.
Bis Rieß mit dem Durchbringen seines Anliegens erfolgreich war, sollte viel Zeit – fast zwei Jahre – vergehen; groß waren die
Widerstände bei den traditionell mit Informationsvermittlung beschäftigten Bevölkerungsgruppen, insbesondere bei den
Gesindemaklerinnen und -maklern, die um ihre Einkünfte fürchteten. Letzten Endes waren die Behörden dann aber doch von
Rieß’ Ansinnen überzeugt, vor allem, als er dann versprach, eigene Register über Wohlverhalten und Führungszeugnisse über
die vermittelten Dienstbotinnen und Dienstboten anzulegen, die eine Kontrolle dieser unsteten Personen erlauben würden.
Unerwartet wenig Proteste waren von den Lohnlakaien gekommen, die in den Gasthäusern Reisenden aufwarteten, um diese zu
Sehenswürdigkeiten oder freien Zimmern zu führen; wahrscheinlich betrachteten diese das Comptoir nun doch nicht als
gefährliche Konkurrenz für ihren Erwerbszweig.
Mit dem Geschäftsgang war Rieß im Großen und Ganzen zufrieden; gewiss, sein Büro hätte noch mehr Frequentierung durch
Anfragende vertragen, doch mit den erzielten Einnahmen kam er über die Runden. Insbesondere das ebenfalls von ihm betriebene
Pfandleihgeschäft samt zeitweiliger Versteigerung der verfallenen Pfänder sorgte dafür, dass ein regelmäßiger Strom an
zufließendem Geld in den Rechnungsbüchern verzeichnet werden konnte.
Manchmal konnte es jedoch auch echt anstrengend sein, vor allem dann, wenn sich die Beschwerden der p.t. Kundschaft häuften,
wie in jenen Tagen, als der neu angestellte Bedienstete Johann Fundneyder nicht aufhörte, die Zeilen der Registerbücher
durcheinanderzubringen und sich erhebliche Fehler in seine aus den Büchern für die Anfragenden erstellten Auszüge einschlichen;
einer der Empörten war der Advokat Ferdinand Leopold Keller: Letzterer war, ganz so wie es ihm der von Fundneyder verfasste
Zettel verheißen hatte, beim entlegen im Schwingshandlischen Haus in der Singerstraße wohnenden Philipp Kinsch vorstellig geworden,
um dort fünf Eimer St. Georger Wein abzuholen, alleine, Kinsch musste den Advokaten belehren, dass er mit Weinverkauf nichts am Hut
hätte, sondern das Adresscomptoir nur aufgesucht hätte, weil er einen silbernen Siegelstempel gefunden hätte. Keller stellte Rieß
darauf zur Rede und klagte, dass er den Wein doch so dringend zur Bewirtung einer Abendgesellschaft gebraucht hätte; nur mit Mühe
konnte Rieß den Rechtsgelehrten besänftigen, indem er ihm versprach, das Intelligenzblatt für ein halbes Jahr zur Hälfte vom Preis
zuzustellen. Kaum war des Advokaten Zorn verraucht, tauchte jedoch schon der nächste Beschwerdeführer im Büro auf: Joseph Laar war
es, der eine Stelle als Hauslehrer suchte; Laar wollte Fechten und Französisch unterrichten, doch als er im Palais des ihm genannten
Georg Suppanovich auftauchte, musste er vom Portier hören, dass der Posten schon längst vergeben wäre. Der verhinderte Lehrer fühlte
sich in die Irre geführt und verlangte die schon bezahlte Vermittlungsgebühr zurück. Rieß versuchte ihn damit zu trösten, dass es oft
vorkäme, dass das Büro von erfolgten Vermittlungsakten keine Mitteilung erhielte, obwohl er doch wiederholt dazu aufrufen würde.
Zum Glück verlief das Alltagsgeschäft ruhiger und der übliche Trott des Anfragen Entgegennehmens und Nachsicht haltens in den
Registern wurde zumeist nur durch in das Büro hereinplatzende Fuhrwerksleute unterbrochen, die ihre Warenlieferung abladen wollten.
Als Rieß nämlich mit seiner Tätigkeit begonnen hatte, wurden die von den Verkäufern angebotenen Waren nur in den Registern des
Adresscomptoirs verzeichnet und verblieben in den Lagern der Anbieter; als aber immer mehr Interessenten danach verlangten,
zumindest Proben der Waren im Büro sehen zu können, hatte sich der Direktor des Comptoirs dazu entschlossen, seine Räume zu
erweitern und in diesen nicht nur Informationen, sondern auch manche Waren selbst anzubieten. So konnten also die Liebhaber
die goldenen Sackuhren, das Pompadourische Zahnpulver, die Lissabonsche Schokolade und den für Landwirte so nützlichen Erdbohrer in
den Räumlichkeiten des Büros selbst begutachten und erstehen; zuweilen erhielt Rieß auch Rückmeldungen über die Qualität der von ihm
verkauften Waren: Erst vor einem Monat hatten ihm einige KundInnen mitgeteilt, dass der im Adresscomptoir veräußerte, von einem Bauern
aus der Umgebung gelieferte Himbeersirup von zu dicker Konsistenz war und zu süß schmeckte; Rieß hatte die Beschwerden prompt
weitergeleitet und konnte den nunmehrigen BesucherInnen verkünden, dass die neu eingetroffene Lieferung etwas dünner und säuerlicher
ausgefallen war.
Selten kam es auch vor, dass so ungewöhnliche Gegenstände wie Tafelbilder eingebracht wurden; einmal hatte die Kaufmannswitwe Anna
Lutzenbergerin ein aus der Hinterlassenschaft ihres Mannes stammendes, gar schrecklich anzusehendes Haupt der Medusa bei Rieß
deponiert, der es daraufhin in einem Nebengewölbe zwischen all den physikalischen Modellen, die auch im Adresscomptoir zu sehen waren,
ausstellte. Die Lutzenbergerin hatte damals verlangt, dass die Nachricht von dem Bild auch noch schnell in das Intelligenzblatt
eingerückt werden sollte und überredete Rieß extra dazu, deswegen die Druckerpressen anzuhalten. Bei der kunstsinnigen Kennerschaft
der Stadt wurde das Adressbüro daraufhin zu einem Geheimtipp, und gar manch ein Freund der Malerei sollte dieses nur des Medusenhauptes
wegen aufsuchen.
Das übrige Geschäft bestand im Registrieren neu zugereister und Ausfindigmachen abgängiger Personen: Alle paar Tage erhielt Rieß die
Meldungszettel der Gasthöfe, die ihn darüber informierten, wer in der Stadt eine Herberge gefunden hatte und die Rieß’ Mitarbeiter in
ein Fremdenregister übertrug. Die Polizei, die dieses immer wieder konsultierte, war damit allerdings höchst unzufrieden, da in ihren
Augen allzuviele Wirte nachlässig waren und die Meldungen unterließen oder zu spät abgaben; selbst der Goldene Adler, die beste
Beherbergungsstätte vor Ort, war manchmal wochenlang säumig und musste an die Meldepflicht wiederholt erinnert werden. Dabei konnte sich
Andreas Buchhardt, der Betreiber dieses Gasthofs doch glücklich schätzen, dass Reisende, die sich an das Adresscomptoir bei der Suche
nach einer Unterkunft wandten, zumeist an den Goldenen Adler weitergewiesen wurden. Anfragen dieser Art kamen nicht allzu häufig vor,
mehrten sich höchstens zu Zeiten des Jahrmarkts, bei denen auch Private vorstellig wurden und ihre Zimmer zur Vermietung über das
Adressbüro anboten. Auch das Aufspüren verschollener Personen zählte manchmal zu Rieß’ Aufgaben; eben erst hatte er per Boten einen
schriftlichen Aufruf erhalten, dass sich der in der Stadt vermutete Buchhaltungsakzessist Johann Redlein bei seinen Verwandten melden
sollte, eine Erbschaft wäre angefallen und Redlein sollte seinen Anteil abholen; Rieß würde sich bei seinen Informanten erkundigen und
plante auch, den Aufruf in das Anzeigenblatt aufzunehmen, das zwei Tage später erscheinen sollte. Er rechnete damit, dass diesmal bei
der Ausgabe des Intelligenzblatts ein größerer Andrang entstehen würde, da sich herumgesprochen hatte, dass in der politischen Beilage
nähere Nachrichten über die Kriegsvorbereitungen im Zusammenhang mit dem Erbfolgestreit im benachbarten Territorium veröffentlicht
werden sollten; die berittene Stadtwache wollte er trotzdem nicht anzufordern, dies war erst einmal – vor knapp drei Jahren – notwendig
geworden, als das Extrablatt Meldungen über den lange ersehnten Waffenstillstand brachte und es vor dem Comptoir zu einem tumultartigen
Auflauf gekommen war: Scheinbar fast alle StadtbewohnerInnen hatten sich damals in der gar nicht so schmalen Burgstraße vor dem Büro
gedrängt, um die ersten zu sein, ein Blatt zu erhaschen und die Neuigkeiten zu vernehmen. Fast hätte es Tote gegeben, wenn nicht der
Kommandant der Wache mit seinen Reitern eingegriffen und eine ordnungsgemäße Abgabe des Blatts sichergestellt hätte.
Von solchen raren Ausnahmen abgesehen, verliefen die Tage im Comptoir aber meistens ruhig, manchmal fast schon zu ruhig, wie Rieß
meinte, weswegen er vor ein paar Monaten bei den Landesbehörden ein Projekt eingereicht hatte, mit dem er die Attraktivität seiner
Einrichtung zu erhöhen gedachte: Ein Lekturkabinett wollte er eröffnen, in dem die interessierten Leser – an Leserinnen dachte Rieß
nicht – aktuelle Zeitungen und Zeitschriften, Bücher aus allen Bereichen der Gelehrsamkeit, ja selbst ausgesuchte Romane einsehen
könnten. Allen Benützern, die halbjährlich eine bestimmte Summe zu zahlen hatten, würde er Tinte, Feder und Papier zur Verfügung stellen,
und wer vom Lesen Entspannung suchte, sollte auch die Gelegenheit haben, Schach oder Billard zu spielen; auch sollten auf Wunsch
Erfrischungen, weiters Kaffee, Schokolade und Gefrornes aufgewartet werden und wer wollte, könnte gegen Erlegung einer Kaution auch
Bücher mit nach Hause nehmen. Hatte Rieß zunächst mit dem Gedanken gespielt, das Lekturkabinett im Erdgeschoß, in den bisherigen Räumen
des Adresscomptoirs zu eröffnen, so hatte er diesen dann doch bald verworfen, bedurften manche der hier abgewickelten Geschäfte der
Vertraulichkeit. Stattdessen war er dazu entschlossen, Teile seiner bisherigen Wohnung im 1. Stock dafür zu verwenden, war er doch
ohnehin willens, mit seiner Familie ins Nachbarhaus zu übersiedeln. Das große Zimmer ließe sich dabei nicht nur als Lesesaal
heranziehen, sondern könnte auch für die Abhaltung gelehrter Vorträge dienen, die Rieß einmal im Monat veranstalten wollte und
eventuell genehmigte die Landesstelle sogar einen Debattierklub, dessen Mitglieder das Vorgetragene sowie das Gelesene unter
Anwesenheit von Gelehrten der hiesigen Universität diskutieren sollten. Rieß war nur zu bewusst, dass er damit recht viel
forderte und die Toleranz seiner Behörde auf die Probe stellte, hatte dieser aber zu erkennen gegeben, dass er – falls sie
es denn verlangte – dazu bereit wäre, so heikle Themen wie Politik und Religion von der Debatte auszuklammern.
Der Direktor war froh, sich mit den Erfolgsaussichten eines solchen Projekts auseinandersetzen zu können, hatten ihm die
vorangegangenen Monate doch hinsichtlich seines Unternehmens einiges an Verdruss bereitet: Just ein halbes Jahr bevor das
Privileg seines Intelligenz- und Adresscomptoirs auslief, hatte Rieß von einem befreundeten Landesbeamten erfahren, dass
ein gewisser Ulrich Reindl das Projekt einer Konkurrenzeinrichtung eingereicht hatte, die Reindl nach habsburgischem Vorbild
Frag- und Kundschaftsamt benannt hatte, und die sich von dem Rießschen Büro ausschließlich darin unterschied, dass es
nur die Hälfte an Einschreibgebühren verlangte. Rieß kannte Reindl nur zu gut: Dieser war ein ehemaliger Mitarbeiter seines
Büros, den Rieß vor Jahren sich zu entlassen genötigt gesehen hatte, weil dieser ein privates Register der Vermittlungsgeschäfte
angelegt und damit in die eigene Tasche gearbeitet hatte. Reindl war dann in auswärtigen Städten umtriebig gewesen und sein
unvermutetes Wiederauftauchen schien nichts Gutes zu bedeuten, sondern darauf hinzuweisen, dass er sich der Unterstützung
einflussreicher Kreise am hiesigen Hof erfreuen konnte. Rieß hielt nun die Verlängerung seines Privilegs für ernsthaft
gefährdet, noch dazu, wo er wusste, dass die Pachtsumme diesmal empfindlich erhöht werden sollte, weil der Fürst damit
den Neubau der Bibliothek finanzieren wollte. So war er nur allzu beunruhigt, als er die Benachrichtigung erhielt, dass
das Privileg des Adresscomptoirs nicht – wie beim letzten Mal – ohne viel Aufsehen per Vertrag verlängert, sondern
versteigert werden sollte; mit viel Zähneknirschen musste Rieß diese Ankündigung in seinem Intelligenzblatt abdrucken
und er sah der Versteigerung mit Zittern entgegen. Was für ein Glück, dass er mit einer gar nicht so hohen Summe einen
Beamten bestechen konnte, der ihm mitteilte, wieviel Pachtsumme die Behörden ungefähr erwarteten; dieses Wissen beruhigte Rieß,
und als dann der Tag der Versteigerung gekommen war, fiel es ihm nicht schwer, seinen Konkurrenten auszubooten. Gleich am Tag
darauf unterschrieb er die Vertragsverlängerung, das Privileg war nun für zehn Jahre gesichert; Rieß konnte zuversichtlich in
die Zukunft blicken.
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