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[heft 5] [märz 2012] wien - st. wolfgang



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Zwischen salzburg und bad ischl
Erika Kronabitter


Den durchblick erhalten. Die strassen gegangen, abgegangen, mehrere hundert meter hinaus. Nicht in den blauen see, sieh nur den blauen see, der heute so grün ist! Nein: Vom zentrum hinaus, hinaus und hinein, dabei nicht weit über das zentrum gekommen, nicht über das ziel geschossen und auch nicht daneben. Der spaziergänger bemerkt sofort, wird das zentrum verfehlt. Die strasse scheinbares auslaufmodell, so weitläufig und lang und ohne ende, modell und die parallelen am ende versandet.

Seit dem 6. oktober des vorjahres arbeiten zeitweise bis 50 arbeiter auf der straße um den bürglstein (...) Gleichzeitig mit dem straßenbau um den bürglstein nimmt auch der besitzer der villen am bürglstein durch anbringen eines langen eisengitters längs der straße an der verschönerung der straße mit anteil. (zeitungsausschnitt 1932, ohne datum)

Versandelt (eine kleine flaneurin bist du) und wieder zurück, zum zentrum zurück, zum zentrum oder vermeintlichen zentrum (wer weiss, ob nicht irgendwo heimlich versteckt, die strobler ihr wirkliches zentrum verstecken). Jeder hat seine seiten.

1903 verkauft Baron Malowetz das bürglgut an den jüdischen besitzer der schwechater brauerei, moritz sobotka, der das gut 1931 an hans petschek (pecek), den betreiber tschechischer kohlegruben, weiter verkaufte. Am 1.4.1940 wurde das gut „arisiert“ und diente den nationalsozialisten unter dem vorwand eines müttererholungsheimes als tarnung für die familie kaltenbrunner.

Verortung. Warum willst du das wissen? Ich muss es wissen.

Nach der übernahme 1946 durch die republik wurde dieses 1948 an hans petschek zurückgestellt. 1955 verkaufte die familie petschek das bürgl-gut weit unter dem wert, nämlich um 1,3 mio schilling an die republik österreich, allerdings mit der auflage, dass der besitz nicht geteilt und veräussert werden dürfe. Ein jahr später errichtete das unterrichtsministerium das volksbildungsheim und jetzige bundesinstitut für erwachsenenbildung.

Abgehakt. Es darf nur nicht vergessen werden: Das bundesinstitut ist unser aller besitz.
Abgehakt auch: strandpromenade, kirchenwirt, die lilly, die bücherei. Selbst schuld: zu entdecken das zentrum, zwei sommer verbraucht. Nicht über das ziel geschossen, doch ein paar hundert meter getroffen, angetroffen, point of view, gesucht, nicht gefunden, überschritten: mehr und mehr wiesen, immer weniger view, ein geschäft noch und nicht nach dem anderen, ein kleines gasthaus, kein essen abends nach neun.

Revidiert: Nicht die menschen, nur der blick auf den see mit exklusivität bestückt. Sieh nur, der see! Welch exklusiver blick! Die blickbesitzer lassen sich, d.h. die gäste lassen es sich kosten, die blickbesitzer lassen sich den blick bezahlen. Fürstliches trinkgeld für kaiserliche aussicht. Wenn blickbesitzer schon nicht die ganze zeit selbst auf den see starren können, der gast soll fürs starren was haben, soll fürs in den see sehen einen nutzen sehen. Einen eiskaffee vor sich, vielleicht, und später im magen, danach viel weniger in der tasche. So wechselt das geld seine besitzer und der see bleibt an ort und stelle.

SpaziergängerInnen in leichten, hellen kleidern, das und vieles, gibt es nicht mehr. Keine trauer. Wozu trauer, wie soll trauer auch helfen. Noch mehr gäbe es zu bedauern, betrauern. Viel zu begrüssen, zu begrüssen, erfreuen.
Die leichthellen kleider gibt es nicht mehr, schon gar nicht altenbergs esplanada, die heißt jetzt promenade, nicht die hellleichten kleider und die feinen gäste, so nicht. Die gäste sind nicht mehr so fein, unterscheiden sich äusserlich nicht mehr wesentlich vom volk (und innerlich sowieso nicht), das sich zu geben weiss. Unverändert: die feinen nadelstiche, damals wie heute.

Im waldhaus wohnt der hausmeister. Ein haus, mit dem er frauen beeindrucken könnte.
Über fotos bleiben erinnerungen wach. Wir werden uns an die sonnigen tage erinnern. Etwas anderes haben wir nicht fotografiert.

Einfach weiterschreiben, nicht stoppen, bücher, die um laptops herumliegen, flanierende auch, ungelesene nichtsnutze, öffnen sich von selbst, um ihr inneres zu zeigen, wölben ihre textbäuche heraus (oder textbusen?), aber es wird auch dieses mal nichts mehr werden. Nicht mehr werden als es ist wie es ist: Strobl war wieder einmal zu kurz.

Die feinen nadelstiche: das sind jene, wenn die feinen gäste, die nicht mehr so fein sind, glauben, die herren zu sein, weil sie das geld haben, und die die strobler im glauben lassen, die feinen herren zu sein, weil die feinen herren das geld haben, das sie hier ausgeben sollen. Da ist es schon besser, ein paar mal den mund zu halten, als wenn die ihre geldtasche zuhalten. Jedes jahr ein paar mal wird man hier schon den mund halten können, wenn es sich‘s auszahlt und man dann gut über den winter kommt.


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