|
aufzeichnungen einer blinden
für sonja und josef aus dem gleichnamigen prosaband
Gina Mattiello
sie umfasste sein gesicht, sagte wie zu sich selbst, lass dich betrachten, obschon wir wissen, dass es ein spiel ist, denn blinde betrachten sehenden
nie so wie ich dich nun betrachte, nur sehende glauben, dass sie von blinden so betrachtet werden, aber lass uns das spiel spielen als wüssten wir von
all dem nichts, lass uns dieses bild von uns produzieren als handelte es sich um ein vergnügliches sprach-bild, der körper als ort der lust im hingegeben-sein
an die sprache, den es für solche momente gibt : ihre finger glitten über sein dünnes haar, zur stirn, sie hatte ein lächeln um den mund, kindlich zart, eine
fingerkuppe strich über die backenknochen, die wange hinab zum mund, verweilte linkisch am mundrand, lachte mit einer leisen gebärde und bewegte sich zur nase hinauf,
die fingerkuppen beider hände tasteten von innen nach außen die augenbrauen ab als wollten sie sie nachzeichnen, als würdest du mich entziffern, sagte er, als wäre ich
dir schriftzeichen, mein körper eine schrifttafel aus der du liest, du der fährmann ich die fähre, demnach wäre meine stirn der bug, meine füße das heck, die rumpfbretter
wären horus, der mit seth kämpft am gestade von nedit, die schulter und die fußsohlen wären die beiden bordränder, die arme die ruder, die luftröhre am mund des osiris
die seile, die rippen die schiffsplanken, die beine die ruder, die schritte in den fußspuren des horus am beginn seiner reise, die zähne die schöpfeimer des osiris
beim niederstürzen, als er den boden berührte in nedit. sie umfasste seine schulter, glitt die arme hinab, umschloss seine hände mit den ihren und verweilte dort.
manchmal
fällt die nacht in den tag
als leiser regen der
sich ins off´ne auge legt
der kummer durchwintert
das eis am getriebe
schweigt am lippenrand
© bei der autorin
|