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[heft 16] [september 2018] wien - st. wolfgang



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Wiener Diptychon
(beiTagundauchbeiNacht).
–Film. Prosa.7Texte–.
(Fragment. Entwurf, 7.7.2015)

Armin Anders

Der Blitz gewährt mir Dauer.
Rene Char, La Bibliotheque en feu


1– (MEIN BLITZ)
Eines Tages inmitten einer Nacht wachte ich grausam erschrocken auf – eine Erkenntnis war in mich eingeschlagen wie ein Blitz.
Es riss mich aus dem Bett und ich schlug auf dem Boden auf: Ich wusste von nun an, dass ich eines Tages nicht mehr aufwachen werde. Ich wusste, dass ich eines Tages in ewige Nacht versinken werde – ohne ein gnädiges Erwachen.
(Und eines fernen Tages wie ach so vieler Nächte nach meinem Vergehen wird mehr Zeit vergehend vergangen sein als Zeiten vergangen waren, bevor ich geboren wurde - und ich mir so etwas jemals je hättehatte vorstellen können, aber was wusste ich schon) .
Ich war damals 11 Jahre alt, ein Kind – getroffen und gefallen nunmehr in der Nacht zum Aschermittwoch.

2– (MEIN GLAUBE)
Wenn man klein ist, glaubt man, dass eines Tages – wenn man denn dann groß ist (ganz groß)
dass dann die Beschwernisse des Lebens leichter werden und dass der Alltag einfacher wird und einem alles klarer – aber all das ist so wie es mit dem Schmerz ist:
Egal wie alt man wird (und ist), der Schmerz bleibt – und die Wunden, sie bluten wie eh und je.
Selbst die Narben sind immer in Gefahr aufzubrechen – und niemand weiß wann, aber es geschieht allzeit.
Die Zeit, ja sie heilt keine Wunden, und nichts wird leichter – und nur die Schwere aller Abgeklärtheit, sie siegt (mehr und mehr) .
Der Schmerz, er vergeht nicht, und nichts wird einfacher oder gar einfach – und nur das Leben, das vergeht, immerzu.
Schmerz macht einem zu einem besseren Menschen, das denke ich heute – oder er tötet dich.
(Die meiste Menschen sind tot, gestorben am Leben – bevor Schmerz ihnen einen Weg … ) .
Es ist allemal besser, Schmerz zu ertragen als Schmerz zu zufügen – das empfinde ich heute also ob ich nie anders empfunden hätte (können) .
Mein Leben war und ist voll von eigenem Schmerz – dazu aber gibt es nichts weiter zu sagen.
Wichtig alleine ist: Ich bedauere jedes einzelne Leid, das ich anderen zugefügt habe.
Ich bedauere es nicht nur, nein: es macht mich traurig, auch heute noch – jeden Tag aufs Neue ist da dieser Schmerz und diese tiefe Trauer.
Alle Trauer kennt keinen Trost, das weiß ich heute – aber auch weiß ich innnerlichst: Nichts ist größer als der Schmerz, der im Leben anderen nicht zugefügt wurde – und nicht und niemals wird.
Diese Geschichten, die nie geschrieben wurden und nie geschrieben werden, sie sollen einst sie müssen einst Geschichte werden – ja groß Geschichte machen.
Denn Alles Leben ist Leid, so sagen die Buddhisten, aber ich sage auch - Alles Mensch-Sein fängt an mit dem innersten Wunsch und Willen, niemand anderen Leid zuzufügen –
Ja, das sage ich mir und den anderen stets aufs Neue, immerzu.
Aller Anfang ist nicht schwer, so sage ich auch hinzu, nicht schwer, wenn er ein notwendiger, wenn er ein lebendiger Aufbruch ist – und eine Wende in umfassender Schönheit.
Auch der längste aller Wege, so sage ich, beginnt bloß mit dem ersten Schritt – so hinterlassen wir Wege ohne Spuren, Wiegen allen Lebens.
Es gibt nichts Besseres, heute nicht und morgen nicht, das denke ich, das weiß ich, das sage ich alle Tage: NichtundNiemals Schmerz zu fügen! – und das träume ich in den Nächten, wenn die Asche von meinem Haupt fällt.
Wer in der Welt das Leid mehrt, der verliert die Welt, ist verloren für die Welt – wenn die Wunde erst geschlagen, gibt es kein Zurück!
Mit jedem zugefügten Schmerz und sei er noch so klein, geht eine Existenz zugrunde – ja, so empfinde ich, mit jedem Tag mehr, mit jeder Nacht tiefer.

3– (SEIN)
I.
Mensch-Sein, das bedeutet – Unter-Wegs-Sein.
Es gibt kein Sicheres, woher wir kommen und nichts Gewisses, wohin wir auch gehen – außer natürlich unserem natürlichen Ende, dem Tod.
Wo unsere Schritte auch Boden finden, da finden wir kaum Halt – so bleiben wir Fremde in der eignen Welt.
II.
Schwach (anFleischundSeele) und einsam in unserem gemeinsamen Sein sind wir (von Anfang an) ; wund sind wir, von Anfang an durchzogen von scharfen und schneidenden Kräften aller WeisenNatürlicherExistenz; erzitternd vor Winden, die stets aus allen Himmelsrichtungen einherwehen; andauerndundanhaltend lassen sie uns allesamt ausgezehrt und ausgetrocknet zurück; und letztundendlich wir, so voller Angst um Atem und Umarmung zugleich ringend – so gehen wir, zögernd und voller Zweifel weiter, es muss so sein.
III.
Im Gehen der Wege alleine ist kein wesentlicher Sinn in Sicht und in den tränenden Augen ist kein ersichtliches Ziel, auch dem ach so hohen Kopf bleibt die Erde (die ihn dereinst und endlich begraben wird), unter ihm unwirtlich und auf immer und ewig seltsam fremd – alleinig unsere Bewegung, sie hält uns alle am Leben (sie hält uns im Sein) .
Leben bedeutet uns Menschen – ein Wir im Unter-Wegs-Sein.

4– (IRGENDWO)
I.
Nirgendwo bin ich Fremder
Einsamer als zuhause.
Und nirgendwo bin ich
Lebendiger.

Ich bin in die Fremde gegangen – in die Stadt.
Ich habe mich eingerichtet im Fremden – im Dickicht.
Ich habe mich gewöhnt ans Überleben – im Allgemeinen.
(Ich habe nicht wirklich gekämpft – worum auch?)
.
Es ist nicht Heimat, die mich umgibt.
Es ist nicht Familie, die mich trägt.
Es ist nur der Raum kommendewger Ruhe
Und die eine Zeit – das Leben im Ungefähren.
Nirgendwo bin ich Einsamer
Fremder als zuhause.
Und nirgendwo bin ich
Lebendiger.

II.
Vom Tod umgeben
Und von den Toten
Wurd ich Sterbender
Gelassener als je zuvor.
Nirgendwo ist irgendwo.
Und irgendwo
wartet das Ende

Auf mich alleine –
III.
Komm doch auch Du!

5– (EIGTL. –4–)
(Wenn man alt wir, älter
Als man je erwartet hatte
Alt zu werden, lernt man
Zu begreifen, dass es
Nichts bedeutet
Jung zu sein, aber:
Wenn es nichts bedeutet
Jung zu sein, bedeutet
Eben auch das Alter nichts
Und das Altern eben, das eben
Auch nichts – und das kannja
Keine Wahrheit nicht sein!

Vor allem aber
In einer Zeit nicht
In der Jung-Sein
Alles ist. Alles
Sein (in Echt)
Ein Jung-sein ist, da
kann es ja keine, ja
keine Wahrheit sein.
Jung-Sein oder
Tot-Sein – es gibt da
Keine Alternative.
Entweder jung
Und Sieger
Oder tot – ja!
(Und keine Chance, nein!)
(Das ist die Wahrheit allein.)

6istgleich7
Ich fahre ich fahre ich fahre durch einen Tunnel und da ist kein Licht am Ende des Tunnels da ist kein Ende in Sicht im Tunnel ich fahre fahre fahre das ist nur das flüchtende Licht an den Gemäuern links und rechts um mich ist Beton es ist wie einem großen Sarg aus Sand und Stein und Zement bin ich in Bewegung oder ist es der Tunnel die Gemäuer der Sand die Steine der Zement ich fahre fahre fahre alle die ungekannten unbekannten unbenannten Mitfahrer um mich alle sie bewegen sich bewege ich mich bewegen wir uns sind wir Bewegte bewegt in einem Tunnel aus Sand und Stein und Zement in Bewegung ein großer gewaltiger Sarg in Bewegung ohne Licht am Ende ohne Ende nur in Bewegung im künstlichen Licht an den Gemäuern entlang wenn die Steine doch sprechen könnten ich fahre fahre fahre alles ist in Bewegung ist es in Bewegung bin ich in Bewegung sind es die anderen oder ist es der Tunnel ist der Tunnel mein Sarg mein gewaltiger mein großer Sarg aus Beton ich fahre fahre fahre wohin führt der Weg wohin führt mich mein Weg was ist mein Weg ich will nur weg weg von allem auf ins Nichts hinein ich fahre fahre fahre ich weiß ich will und ich will nicht und das künstliche Licht scheint mir Trost ob meine Scheinwerfer Licht werfen wirklich ich sehe es nicht ich weiß es nicht das künstliche Licht wird es meinen Weg entlang anhalten oder wird es ausgehen wird es ein Ende haben bevor meine Fahrt ein Ende hat bevor mein Weg ans Ende gekommen ist ich fahre fahre fahre und der Weg ist der nur meine so viele so viele andere Verschiedene sind auf dem Weg in meine Richtung so viele in meine Richtung vor mir neben mir hinter mir wie ich sehe wie ich vermute wer weiß schon was alles kommt was alles nachkommt wer aller nachkommt ich fahre fahre fahre das künstliche Licht ich fahre fahre fahre

Der Tod verbirgt kein Geheimnis.
Er öffnet keine Tür. Der Tod ist
Das Ende eines Menschen.

Norbert Elias



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