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litera[r]t
[heft 11] [juni 2015] wien - st. wolfgang



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CONFESSIONES
FRAGMENT (23.7.2015)

Armin Anders


PROLOG


ALLES IST EITEL (ODER NICHTS)

    Es läßt sich privat nicht mehr richtig leben.
    T.W. Adorno (Erstfassung)

I.
Allen ist alles irgendwie egal.
(Es gibt nur das eine Ma(h)l).
Dass Leben sich entleert.
Dass Totes sich vermehrt.
II.
Das Elend draußen ist drin.
Alles verkehret und schal.
(Nichts machet einfach Sinn).
Ist allen alles ja doch egal.
III.
Nichts ist richtiger als Nichts.
(Nichts ist nichtiger als Nichts).
Etwas das privat entsteht ist
Etwas das öffentlich vergeht.

    Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
    T.W. Adorno (Endfassung)


I.
GLAUBE I


    And crawling on the planets face
    Some insects called the human race
    Lost in time and lost in space
    And meaning.
    Last spoken lines in

    "The Rocky Horror Picture Show"

ICH GLAUBE NICHT
An eine Existenz eines Gottes oder einer sonstigen extraterrestrischen "Macht", die mit oder gegen uns ist oder auch nur für sich ist wie alle sonst auch: wir selbst sind die "Aliens" , die nach Hause telefonieren wollen, aber es gibt keine Nummer - von einer Telefonleitung dorthin ganz zu schweigen.
ICH GLAUBE NICHT
An die Auferstehung des Fleisches und die Wiedergeburt in einem Himmelreich Gottes: wie schon Marlene Dietrich, einige Jahre vor ihrem Tod, sagte: "So ein Quatsch, fürchterlich. Da kann man doch nicht dran glauben, dass die alle rumfliegen da oben, gibt's ja nicht."
ICH GLAUBE NICHT
An eine Errettung (weder individuell noch kollektiv) in der Verkörperung einen Messias oder eines Führers, welcher Gestalt auch immer: es gibt kein Beispiel in der Geschichte, dass eine solche messianische Bewegung auch nur einmal zu etwas Gutem geführt hat – und es wird auch in Zukunft keines geben.
ICH GLAUBE NICHT
An die "Überschreitung", nicht der des Geistes, aber auch nicht an die des Körpers, welcher Art auch immer, es sind (oftmals archaische) Grenzerfahrung menschlichen Seins (manchmal nur rätselhaft und also lösbar, manchmal geheimnisvoll) – eine Grenze menschlicher Erkenntnis aber bleibt eine Grenze: und worüber man nicht sprechen kann, da werden wir Wege finden (ja finden müssen) ; und Geheimnisse werden bleiben was sie sind, nämlich geheimnisvoll.
ICH GLAUBE NICHT
An so etwas wie "Glück", es ist so unmenschlich wie die Hoffnung auf eine Erlösung der Menschheit im Glauben: wie schon Freud es sarkastisch in seinem Buch "Das Unbehagen in der Kultur" darlegte: "Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten" .
ICH GLAUBE NICHT
An die göttliche "Schöpfung", einen Plan Gottes oder auch nur an eine allem innewohnenden, sozusagen natürlichen "Urkraft" , die gewissermaßen die Welt "beseelt" und somit zugleich auch allem und allen einen letzten und am besten einen wahrhaft großen "Sinn" gibt:
Der Mensch ist nichts anderes denn ein seltsames Tier (Naturkreatur) auf einem dritten Planeten in einem Sonnensystem auf einer (explosiven) Reise ins Nichts; ein (ameisenhaftes) Etwas, das sich zwar der naturgesetzlichen Schwerkraft unter bestimmten Bedingungen entziehen kann (besser sie umgehen kann), aber das zugleich nicht fähig ist, von sich selbst zu sagen und zu leben, was "Seltsam-Schönes" in der Welt es denn nun eigentlich als etwas "Lebendiges" ist und warum es der von es selbst geschaffenen (künstlichen) Umwelt und ebenso mit- wie unmenschlicher Wirklichkeit fortgesetzt ausgesetzt und darin gottlos gefangen scheint, wie ein Tier im Käfig.
Der Goldfisch im Glas denkt – wenn er denn denken könnte – wohl bei und für sich und überhaupt: alles Leben ist im Wasser … (gluck) alles Leben ist Wasser ... Wasser ist Leben (gluckgluck) – und es stimmt; das hat übrigens auch bereits der als erste Philosoph der abendländischen Tradition ausgezeichnete Thales von Milet (etwa 624-547 v. Chr.) gesagt; das ist übrigens nebenbei erwähnt der, von dem erzählt wird, dass er – die Sterne, den Kosmos betrachtend und über den Anfang und das Wesen allen Seins nachdenkend – in einen Brunnen gefallen ist. Nach Diogenes Laertios also soll er konkret gesagt haben: "… der Ursprung aller Dinge sei das Wasser" .
Aber ist das schon eine Antwort auf all unsere Fragen?
Ich denke, den Goldfisch macht sie glücklich.


GLAUBE II
(Ich nach RMR)


1.
Ich glaube an Nächte
Ich glaube an alles
Noch nie Gesagte.

Ich glaube an das Echte
An das Ewiglich uns
Immerzu Versagte.
Ich glaube an das Du
Ein leises Wort genügt
Ein leichter Anfang.
Ich glaube an das Wir
Eine Geste nur und schon
Ist mir nicht mehr bang.

2.
Ich glaube an
Eine Stunde Buch und
Hunderte volle Leben.
Ich glaube Muße birgt
Und bringt uns Alles ein.
(Nicht bloßes Streben.)
Ich glaube an das Denken.
Es macht die Räume frei
Es macht uns atmen, innehalten.
Ich glaube an den Mut, er
Lässt uns, trotz aller Schwäche
Menschlich sich verhalten.

3.
Ich glaube an Nächte
Ich glaube an alles
Noch nie Gesagte.

Ich glaube an das Herz
Es tut sein Werk in Ruh
Trotz allem Leid und Schmerz.
Ich glaube an das Hirn
Der allen Naturgewalten
Bietet unerbittlich seine Stirn.
Ich glaube an das Leben, ja
Leben, in allem Leben.
Das ist zu Wagende
Das glaube ich.


II.
DENKEN I


Ich denke, dass das Ereignis des "Denkens" immer eine Art (melancholischer) Monolog ist - es meint vorerst sich "selbst" als "Denkender" und zeigt sich selbst als "(Ver)Zweifelnden".
Ich denke, dass das "Denken" immer aber auch eine Art des Dialogs (als eine "zweifachen Rede") ist - es ist auf etwas und jemanden gerichtet: es erwartet, erfordert geradezu die Antwort, und es braucht den "Anderen" wie das Brot die Butter.
Ich denke, dass "Denken" und "Empfinden" (was ich von momentanen "Gefühlen" abgrenze) stetig einander bedingen: es gibt keinen Gedanken ohne eine Empfindung - erst das "Lebendige" macht den "Geist" atmen und umgekehrt;
ich denke, dass ich fundamental keine (katholische) Dichotomie zwischen "Körper" und "Geist" empfinde, sondern (wenn schon, dann) eine Trinität der denkerisch-empfindsamen Bewegungen aus "Geister (Gespenstern), Seelen (Träumen) und Körpern(der Begegnung)" .
Ich denke, dass es - sosehr diese Begriffe naturgemäß auch behaftet und überfrachtet sind mit mythologischen, religiösen sowie psychiatrischen Wirrnissen - diesen allgemein-alltäglichen "Mist" stetig lustvoll zu beseitigen gilt: im Ereignis des widerständigen, des kritischen, des zweifelnden "Denkens" naturgemäß.
Ich denke, dass Denken "Gespräche" sind, Formen der Kunst von Begegnung als Bewegung im Geist und im Körper und im Fleisch und im Traum und in der Zeit und und und
Ich denke, dass ist im Moment genug an Glaube, Empfindung (dem einen oder anderen Gefühl) und (sogen. aufklärerischer) Denkungsart.


II.
DENKEN II


    "… ein Stück Nacht, eine offensichtlich untätige Mächtigkeit, in die es verwickelt ist,
    ein Ungedachtes, das voll im Denken enthalten, in dem das Denken ebenso gefangen ist."

    Michel Foucault über das "Andere", den "blinden Fleck" allen modernen Denkens

Denken dass radikal ist ist ein Denken das alle abendländische Metaphysik ein für allemal verwirft: es gibt nicht das Eine (das Große und Ganze und Ur-Ursächliche) nicht das Sein (ruhend auf erstem und letzten Grund und somit sogleich aufgehoben und in letzter Sichtung gleichsam für alle Zeiten erlöst) und es gibt auch nicht einen unbewegten Beweger – Gott ist tot für alle Zeit und in allen Räumen (nur sein Gespenst spukt gewaltsam noch)!
Denken dass radikal ist ist ein Denken das an die Wurzeln geht ist ein Denken das weiß dass es keine Wurzeln und keinen naturgegebenen Urgrund (und Sinn) allen Lebens (allen Seins) gibt ja geben kann auf dem und in dem alles und somit auch wir gemäß bestimmter Gesetzmäßigkeiten ruhen und wachsen und uns entwickeln: alles was es gibt ist nur ungewisses Flickwerk in das der Mensch unendlich unwissend vielfach verhakt immerzu sich darin aufs Neue und Alte un- und wissentlich verstrickt.
Denken dass radikal ist ist ein Denken das weiß dass es nicht zu den Gründen gehen kann ohne daran zugrunde zu gehen wie schon Nietzsche uns ins Tagebuch schrieb dass wenn wir lange genug in den Abgrund schauen er auch in uns schaut: aller Ur- und Abgrund endet im Nichts in der totalen Leere.
Denken dass radikal ist ist ein Denken der EntGrenzung zugleich immer aber auch eines der GrenzSetzung: alles Denken ist bleiche Markierung an den dunklen Rändern der Wege in den Untiefen entlang der Abgründe im Niemandsland des Geistes.
Denken dass radikal ist ist ein Denken das radikal negativ ist ein Denken der vollkommenen Verneinung ja selbst das Leben wird im radikalen Denken fundamental verneint: und darin gerade ist die größte Freiheit menschlicher Existenz und die schönste Bejahung.
Denken das radikal ist ist ein Denken der Existenz als Experiment es will denken was in seinem Schatten liegt melancholisch immerzu und ohne Unterlass zweifelnd: es kennt einen Anfang ja aber es kennt kein Ende solange Menschen noch atmen.
Denken das radikal ist will die Revolution: ob mit einem Gedanken mit einem Satz oder nur mit einem Wort - sie möge beginnen!


III.
MENSCH I
Zu sagen ist:


1.

    "Was groß ist am Menschen, das ist,
    daß er eine Brücke und kein Zweck ist:
    was geliebt werden kann am Menschen,
    das ist, daß er ein Übergang und ein Untergang ist."

    Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Zarathustras Vorrede

Dass er nicht ein (philosophisch oder religiös oder sonst irgendwie begründetes / begründbares) "Wesen" ist und/oder ein solches hat; eines, das jenseits von Raum und Zeit existiert - der Mensch ist nicht ein "Sein", über das sich ebenso folgerichtig wie allerlei "spekulieren" lässt - wenn schon, dann ist der Mensch in einem (spekulativen) "Werden" befindlich, ein "Im-Werden-Sein": sein "Sein" ist, nennen wir es so, ein "Unter-Wegs-Sein".
2.
Dass er ein von Gesellschaft, Geschichte und Denken (rätselhaft) "Ge- Ent- und Ver-Worfenes" undzugleich (abgrundtief-unergründlich) "Un/Begründetes" ist: ein natürliches und künstliches, ein kulturelles und künstlerisches, ein individuell-eigenes und fremd-anderes "Etwas", das sich - alleinig auf dem Planeten - in einem (kosmischen) System von Symbolen (Sprachen, Kunst, Literatur) bewegt als wäre es eine "wirklichen Welt" und ebenso sich darin aus- und entwickelt, was uns von Anbeginn der Menschheit staunen macht, ja machen muss.
Die menschliche Welt (und Geschichte) ist ein Schlachthaus und ein Irrenhaus, ja aber auch ein Haus der Träume, der Hoffnungen und der Vernunft.
3.
Dass wir – so wenig wir über unsere Vergangenheit, Evolution und Kulturgeschichte, wissen - so wissen wir noch weniger über unsere Zukunft (abgesehen vom allgemeinen kosmologischen Tod) - alles muss "Spekulation" bleiben und sollte als solche betrachtet werden.
Zu fragen ist:
1.
Ich frage (mich) immerzu (auch ich lese Foucault), was der "Mensch" heute ist und was das "Heute" ist bzw. das "Heute" im Menschen ist?
2.
Ich befrage also mich, die Gesellschaft und Geschichte, soweit das denn eben nur irgendwie möglich ist, vor allem aber betrachte/beobachte/befrage ich meine (kleine) Umwelt, in der ich lebe, also meine (kleine) Familie, vor allem aber meinen kleinen Kreis an Freunden und Freundinnen; auch sehe ich ihre Kinder und ich spiele mit ihnen, und es macht mir Spaß und ich lache und ich spreche mit ihnen und ich weiß: was immer wir denken, das kommt, es kommt alles ganz anders.
Und darum geht es bis zu meinem letzten Atemzug, denke ich.
3.
Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch ’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.

Bertolt Brecht, Ballade von der Unzulänglichkeit


EPILOG

AUCH WENN ES MISSVERSTÄNDLICH ANMUTET

    Singen wollt ich leichten Gesang

Aber ich bin kein Schreiber
Ich bin ein Lesender, das ist
Meine alltägliche Freude
Schreiben macht mir
Unendliche Mühe
(Und ich scheue beide)
Auch bin ich kein Denker
(Das ist nicht Koketterie)
Ich vermisse die Praxis
Das Menschengewerk
Ich leide jeden Tage
Mehr daran als an all
Meinen Erkrankungen
Nichts tut mir mehr gut
Als das Tun, das Wissen ist
(Doch nur) eine Art Glaube
Zu wissen, was man will
Wer man ist, was
Die Welt und
Unsere Zeit ist
(Die uns zerrinnt
Unentrinnbar)

Ist ebenso
Unmöglich
Wie unwirklich
Animiert bin ich
Von der Sehnsucht
Einfach nur zu leben

    aber nimmer gelingt mirs.
    Friedrich Hölderlin, Last der Freude (Fragment)



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